Ein Ingenieur im Rollstuhl sitzend, der in einer Fabrik eine Maschine über einen Laptop analysiert.
Für Unternehmen die Menschen mit Behinderung einstellen, gibt es Fördermöglichkeiten der Agentur für Arbeit. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Gleichberechtigung Inklusion auf dem Arbeitsmarkt: Menschen mit Behinderung weiterhin benachteiligt

03. Mai 2024, 14:36 Uhr

Die Anzahl der Arbeitslosen mit einem schweren Grad der Behinderung ist in den vergangenen Jahren gesunken. Trotzdem sind Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt weiterhin strukturell diskriminiert, kritisieren Behindertenverbände. Nach wie vor beschäftigt mehr als ein Viertel der dazu verpflichteten Betriebe in Deutschland keine Menschen mit Behinderung.

Eine junge Frau mit blonden Haaren lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Immer mehr Menschen mit schwerer Behinderung finden in Deutschland einen Job, gehen im Schnitt aber immer noch seltener einer Arbeit nach als der Bundesdurchschnitt. Das zeigt das aktuelle Inklusionsbarometer der Aktion Mensch. 2022 waren etwa 164.000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos, 9.000 weniger als im Vorjahr. Auch wenn die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung 2022 auf einen Tiefstwert von unter elf Prozent gesunken ist, liegt sie noch immer mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Quote.

Ein Viertel der Unternehmen beschäftigt keine Menschen mit Behinderung

Um mehr Menschen mit Behinderung auf den Arbeitsmarkt zu bringen, sind Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten laut Sozialgesetzbuch verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Erfüllen Betriebe das nicht, zahlen sie pro fehlendem Arbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zwischen 140 bis 720 Euro monatlich. Für Unternehmen mit weniger als 60 Beschäftigten gelten teilweise geringere Sätze. Das Geld fließt in einen Fonds, aus dem die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gefördert wird.

"Wir haben eine wachsende Zahl an Unternehmen, die unter die Beschäftigungspflicht fallen", erklärt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch MDR AKTUELL. 175.000 Unternehmen seien Teil dieser Kategorie, 25 Prozent davon würden jedoch gar keine Menschen mit Behinderung einstellen, nur knapp 40 Prozent erfüllten ihre Quote voll. Marx vermutet, dass viele Unternehmen bestehende Fördermöglichkeiten gar nicht kennen oder sich nicht im Bürokratie-Dschungel zurechtfinden würden. Sie weist darauf hin, dass die Arbeitgeber sich an speziellen Ansprechstellen über bestehende Möglichkeiten informieren könnten.

Viele Förderungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung

So übernimmt die Bundesagentur für Arbeit beispielsweise eine Probebeschäftigung bis zu drei Monaten, in der die Lohnkosten vollständig gezahlt werden. Mit dem sogenannten "Eingliederungszuschuss" erhalten Arbeitgeber für eine eingestellte Person mit Behinderung zudem einen Anteil des Lohns als Unterstützung. Außerdem gibt es eine finanzielle Förderung bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes – zum Beispiel, wenn eine Rampe für Rollstuhlfahrer benötigt werde.

Im Jahr 2021 waren 1,1 Millionen schwerbehinderte Menschen bei Arbeitgebern mit monatlich 20 oder mehr Arbeitsplätzen beschäftigt, zeigt ein Bericht der Bundesagentur für Arbeit. Rund ein Viertel arbeite im verarbeitenden Gewerbe, gefolgt vom öffentlichen Dienst, dem Handel und der Instandhaltung von Kraftfahrzeugen sowie im Pflege- und Sozialbereich.

Menschen mit Schwerbehinderung gut qualifiziert und trotzdem länger arbeitslos

In der Statistik fällt auf: Arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung sind gut qualifiziert. Anteilig finden sich unter ihnen mehr Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung als bei nicht schwerbehinderten Arbeitslosen. Trotzdem gelingt es ihnen der Bundesagentur für Arbeit zufolge seltener eine Beschäftigung am Arbeitsmarkt aufzunehmen als Menschen ohne Behinderung. Dauer der Arbeitslosigkeit und der Anteil der Langzeitarbeitslosen seien daher deutlich höher.

In den Daten werden zudem nur Menschen mit einer Schwerbehinderung erfasst. Menschen mit geringerem Grad der Behinderung seien nicht dazu verpflichtet, dies anzugeben, erklärt Susanne Eikemeier, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit.

Inklusion wichtig für soziale Teilhabe

Dass Menschen mit Behinderung stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden, sei jedoch von größter Relevanz. "Wie bei Menschen ohne Behinderung auch, besteht der Sinn von Arbeit für Menschen mit Behinderung nicht nur im Geldverdienen, sondern im Erleben eines 'zweiten Ortes' neben der Wohnstätte, im sozialen Eingebundensein und im Erfahren von Selbstwirksamkeit", erklärt Thomas Schneider von der Caritas Behindertenhilfe. Dass Inklusion eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, sei noch zu wenig im Bewusstsein verankert. So gebe es außerdem Berührungsängste und Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Behinderung.

Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention sei Deutschland jedoch in der Pflicht, eine Teilhabe am Berufsleben zu ermöglichen. Dafür wurde im vergangenen Jahr auch das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes verabschiedet.

Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes Ziel des im Juni 2023 beschlossenen Gesetzes ist es, einen offenen, inklusiven und zugänglicheren Arbeitsmarkt zu schaffen. So sollen Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können. Die Maßnahmen beinhalten unter anderem eine Neustaffelung der Ausgleichszahlungen sowie höhere Lohnkostenzuschüsse. Die Bestimmungen sind zum 1. Januar 2024 in Kraft getreten.

Vorteile durch Wandel des Arbeitsmarktes

Die Arbeitswelt befindet sich aktuell im Wandel. Daraus könnten sich auch positive Effekte für Menschen mit Behinderung ergeben, meint Christina Marx von der Aktion Mensch. So würden digitale Technik und weiterentwickelte Software für Menschen mit Beeinträchtigung eine bessere Chance zur Ausführung bestimmter Jobs bieten. Thomas Schneider von der Caritas ist bei den Veränderungen ähnlich optimistisch: "Die aktuellen Entwicklungen eröffnen neue Zugänge zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn beispielsweise eingeschränkte Mobilität kein Hindernis mehr darstellt." Umgekehrt müsse aber auch gewährleistet sein, dass die neuen Arbeitsformen keine neuen Ausschlüsse produzierten und Arbeitsplätze durch voranschreitende Digitalisierung nicht wegfielen.

Besonderer Schutz im Arbeitsrecht für Menschen mit Behinderung

Menschen mit Schwerbehinderung genießen im Arbeitsrecht einen besonderen Schutz. Eine Kündigung muss beispielsweise zunächst durch das Integrationsamt bestätigt werden. Öffentliche Arbeitgeber müssen Schwerbehinderte, die sich auf eine Stelle beworben haben, zudem zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Wenn "die fachliche Eignung offensichtlich fehlt", könne laut Sozialgesetzbuch aber auch davon abgesehen werden.

Es braucht Aufklärung, dass Menschen mit Behinderungen nicht weniger leistungsfähig sind, dass sie nicht häufiger krank sind, sondern dass sie im Gegenteil oftmals sehr loyale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.

Christina Marx, Sprecherin Aktion Mensch

Fast 670 Euro Lohn weniger für Frauen mit Behinderung

Eine Studie der Aktion Mensch zur Situation von Frauen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt zeigt, dass 50 Prozent der Befragten im Bewerbungsprozess schon einmal Diskriminierung erlebt haben. Zudem würden sie sich von Stellenanzeigen oft gar nicht angesprochen fühlen und sich damit auch nicht bewerben, meint Christina Marx. Zudem erhielten sie die niedrigste Bezahlung. Im Durchschnitt verdienen weibliche Erwerbstätige mit Behinderung 667 Euro netto weniger pro Monat als ihre männlichen Pendants, heißt es in der Studie.

Zukünftig brauche es eine größere Offenheit von Unternehmen, Menschen mit Behinderungen überhaupt zu beschäftigen, so Marx weiter. Das fange schon bei einer barrierefreien Webseite an. Auch mehr Flexibilität in die Ausbildung sei nötig, damit Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen ihre Stärken besser ausspielen können. "Es braucht Aufklärung, dass Menschen mit Behinderungen nicht weniger leistungsfähig sind, dass sie nicht häufiger krank sind, sondern dass sie im Gegenteil oftmals sehr loyale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 03. Februar 2024 | 09:12 Uhr

3 Kommentare

Rechtsstaatlichkeit vor 16 Wochen

"...sind Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten laut Sozialgesetzbuch verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen."
Steht in ihrem Artikel! Mir wird das vorgeschrieben!

MDR-Team vor 16 Wochen

Hallo Rechtsstaatlichkeit,
der Staat schreibt dies nicht vor. Der Staat regelt mit einer Quote die Inklusion von Menschen mit Behinderung. In erster Linie geht es darum, "die Benach­teiligung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen und zu verhindern sowie ihre gleich­berechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu gewähr­leisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen." Erfüllen Betriebe die Quote nicht, zahlen sie pro fehlenden Arbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zwischen 140 bis 720 Euro jährlich.
Mehr dazu: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetz-zur-gleichstellung-behinderter-menschen.html
Freundliche Grüße vom MDR.de-Team

Rechtsstaatlichkeit vor 16 Wochen

Ist schon dreist in Deutschland, ich gründe ein Unternehmen auf mein Risiko und meine Verantwortung und der Staat schreibt mir vor, welche Mitarbeiter ich einstellen muss!

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