Blick durch Fenster in die Kirche Lohma
Die offene Kirche in Löhma ist auch Ausstellungsort. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Gotteshäuser Neue Verwendung gesucht: Kirche als Herberge, Rastplatz oder Tanzort

25. April 2024, 13:56 Uhr

Mal schön die Kirche im Dorf lassen! Das ist ein geflügeltes Wort. Ein unbestreitbarer Fakt ist: Jede fünfte Kirche in Deutschland steht in Thüringen. Damit hat das Land die höchste Dichte an Kirchbauten. Und ein Problem: Viele der Gotteshäuser werden für den Gottesdienst nicht mehr gebraucht - weil die Zahl der Mitglieder in Kirchgemeinden von Jahr zu Jahr sinkt. "Wie verändert sich Kirche?", fragt deshalb die Ökumenische Akademie Gera/Altenburg.

Sieben Abende lang wird diskutiert, an verschiedenen Orten, mit unterschiedlichen Akteuren. Nach Nöbdenitz im Altenburger Land hat Pfarrer Frank Hiddemann von der Ökumenischen Akademie eingeladen, um zu hinterfragen, was alles in einer Kirche los sein könnte.

Diskussion in der Kultur- und Bildungswerkstatt Nöbdenitz
Diskussion in der Kultur- und Bildungswerkstatt Nöbdenitz Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Denn in Nöbdenitz und den Nachbarorten Lohma und Posterstein haben sie schon einiges ausprobiert. Immer mittendrin: Wolfgang Göthe. Der Mann war lange in einer Behörde beschäftigt, gab den gut dotierten Job auf - und bemüht sich seitdem um lebendige Kirchenarbeit.

Unbequeme Zahlen

Göthe hatte mal Statistik studiert. Er konnte das berechnen, was vor Jahren mancher in der Kirchenleitung lieber nicht wissen wollte. Seine unbequemen Zahlen machten klar: Der demografische Wandel führt zu noch weniger Kirchgängern. Die Lage vor seiner Haustür beschreibt Wolfgang Göthe so: "Wir haben inzwischen mehr als ein Drittel der Gemeindeglieder in unseren Dörfern verloren. So, dass wir jetzt noch zweihundert sind - aber drei Kirchen haben."

Lassen die sich erhalten? Wie könnten sie sinnvoll genutzt werden? Schon vor Jahren ist in den drei Dörfern über pro und contra gestritten worden. Als es um den alten Nöbdenitzer Pfarrhof ging, eskalierte es sogar, erinnert sich Wolfgang Göthe. Die Nöbdenitzer wollten ihn erhalten, die Kirchleitung wollte es nicht. Durchgesetzt haben sich die Frauen und Männer um Wolfgang Göthe. Sie richteten eine Kultur- und Bildungswerkstatt ein. Das ist längst ein beliebter Treffpunkt, mit Unterhaltungsprogrammen, kleinen Ausstellungen, Tanz, Konzerten, Gesprächsrunden - ein Ort also, der offen ist für alle, nicht nur für Kirchgänger.

Mehr als Gottesdienste

Und doch bleibt die Frage, wie die drei Kirchenhäuser "bespielt" werden können. In Lohma war das Gotteshaus zur Wendezeit einsturzgefährdet. Es kostete damals viele Nerven, um die bauliche Rettung anzustoßen.

Wolfgang Göthe an der Kirche in Lohma
Wolfgang Göthe an der Kirche in Lohma Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Heute kümmert sich ein Freundeskreis um die weitere Instandsetzung. Eine Stiftung wurde gewonnen, die Sanierung zu unterstützen. Es gibt wieder Gottesdienste. Vor allem aber steht die Kirche jetzt von 10 bis 17 Uhr offen - mit einer Toilette und als Rast-Ort für Wanderer und Radfahrer. Ähnlich genutzt wird das Gotteshaus in Nöbdenitz. "Und dann ist da unsere Kirche in Posterstein, die wir wegen ihres kostbaren Inventars nicht ohne Aufsicht öffnen können. Dort führen wir aber täglich Führungen durch. Es gibt mindestens ein Orgelkonzert wöchentlich. Oft mehr. Und wir haben dort jedes Jahr bis zu 8.000 Besucher", erzählt Wolfgang Göthe.

Kirche Lohma von innen
In der einst einsturzgefährdeten Kirche Löhma Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Gewagtes ausprobieren

Kochen am Altar - der Gedanke scheint wohl vielen undenkbar. Aber in Nöbdenitz ist dazu sogar ein Bild zu sehen, als Elke Bergt ihren Vortrag hält. Kirche anders denken - für sie ein erfolgversprechender Ansatz. Elke Bergt arbeitet im Baureferat im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in Erfurt. Bei der Ökumenischen Akademie berichtet sie über Ideen, die während der Internationalen Bauausstellung IBA Thüringen entwickelt und umgesetzt wurden. Ein lange als Abstellraum genutztes Kirchlein wurde da zu einem Kulturort mit Feuerorgel verwandelt. In anderen Orten wurden aus kaum noch genutzten Gotteshäusern Herbergskirchen mit Übernachtungsangeboten für Wanderer.

Schild vor der offenen Kirche Lohma
Offene Kirchen brauchen oft ehrenamtliche Betreuer. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Manchmal bleibt nur der Weg, eine Kirche zu entwidmen. Dann ist es wichtig, neue Nutzer zu finden und Kirchenschätze sicher zu überführen. Im Fall der Aubachtal-Kirche in Greiz konnte ein großer Holzaltar von Elly-Viola Nahmmacher umziehen. In die alte Kirche auf dem Oberen Schloss, die heute Teil des Museums ist. So bleibt das Altarkunstwerk der Öffentlichkeit zugänglich.

Elke Bergt machte bei der Diskussion in Nöbdenitz klar, dass noch viel Kreativität gefragt sein wird: Nur drei Prozent aller evangelischen Christen leben im Einzugsbereich der evangelischen Kirche Mitteldeutschland, aber 20 Prozent aller deutschen Kirchbauten stehen dort. Wenn sich der Erhalt dieser fast 4.000 Gotteshäuser lohnen soll, dann müssen wohl viele für öffentliche Zwecke genutzt werden. Das wird nur gehen, wenn die Kirchgemeinden Unterstützer vor Ort gewinnen können.

 Kirche in Lohma mit Windrädern im Hintergrund
Um den Erhalt der Kirche in Lohma kümmert sich ein Freundeskreis. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Mitstreiter begeistern

Von den drei Kirchen in Nöbdenitz, Lohma und Posterstein sagt Wolfgang Göthe: "Sie sind für uns keine Last." Er erklärt das mit den vielen Menschen, die zwar nicht gläubig sind, aber Interesse haben an dem markanten Bauwerk im Dorf. "Und das Kunststück ist, die Ehrenamtlichen zu koordinieren. Dass die auch gut miteinander arbeiten." Göthe erzählt von Dorfbewohnern, die sich bei ihm für Urlaubstage "abmelden". So kann er dann andere organisieren, die für die offenen Kirchtüren sorgen.

Aus dem "wie verändert sich Kirche" kann also durchaus eine andere Art des Zusammenlebens wachsen. Das ist so spannend, dass sich Wissenschaftler an den Universitäten in Leipzig, Schwerte, Köln, Wuppertal, Regensburg, Bonn und Köln dafür interessieren. Sie untersuchen in einer interdisziplinären Forschungsgruppe, was und wie sich etwas entwickelt rund um die Kirchen in Lohma und Nöbdenitz und den alten Pfarrhof dort. "Es kann nicht ganz falsch sein, was wir hier machen", freut sich Wolfgang Göthe.

MDR (mar/sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. April 2024 | 19:00 Uhr

24 Kommentare

Dermbacher vor 1 Wochen

Es liegt doch an ihnen, besuchen sie doch die Kirche als
Gottesdiensteilnehmer! Im übrigen welche Kirche in Thüringen wurde denn in eine Moschee umgewandelt?

Tom0815 vor 1 Wochen

@Ralf G.
Ok, ich erkläre es mal wieder einfach:
@Dermbacher schrieb zu ihrem Kommentar ^^: "Was wollen Sie denn damit sagen, außer vielleicht Hass und Hetze zu verbreiten?"

Und darauf antworten Sie: "Dermbacher - Sie sind gegen die Umwidmung in Moscheen? Nennt man das nicht Islamophobie?"

Auch wenn @Dermbacher es wahrscheinlich ironisch gemeint hat, haben Sie die Aussage dennoch bewußt verdreht.

Tom0815 vor 1 Wochen

@Maria A.
Die einen wissen wenig über eher "fremde" Religionen und die anderen über die deutsche Geschichte. Mangelnde Bildung Ist aber offensichtlich ganz generell ein Problem wenn ich mir allein hier im Forum tagtäglich ansehe, welch eklatante Defizite manche User hier an den Tag legen. Da mangelt es oftmals an einfachstem Leseverständnis und von Mathe (18% oder 22% sind eben keine Mehrheit) ganz zu schweigen. Und das Schlimmste: Manchen hat man solch einfache Dinge schon ganz oft und extra einfach erklärt und sie kapieren es trotzdem nicht. ;-)

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